That distinguishes literature as art from world-political commentaries as expressed on a daily basis in editorial articles or on talkshows. This delimitation from pragmatic texts forms the unique aspect of art. The primary task of literary criticism would therefore consist in defining and assessing the linguistic and narrative means that writers work with. Unfortunately, recently my impression is that, at least in the German-speaking context, this is an increasingly rare occurrence. Instead, the critics are keen to enquire especially whether novels or short stories have something to offer as “a diagnosis of the present time” or something “relevant”. Writers whose texts allude to current socio-political debates are vociferously praised and acclaimed because they refer to such up-to-the-minute debates – and not because they submit exceptional aesthetic texts.
Perhaps this is related to the strong need of literary Feuilleton editors to venture forth from their niche-departments and not to hand over current debates to their colleagues in the politics or business section. So they are greedy to catch trends and scan the new books in fiction about what – preferably in blunt language – they have to say about the latest trends.
The result is dissatisfying, indeed, alarming because if literary criticism no longer has anything to say about the forms of literature, it needs nobody any more.
Consider a few concrete examples: last autumn, the various German Feuilleton outbid each other to describe Dave Eggers’ novel “The Circle” at such lengths that the implication was this is a milestone text of world literature. The “Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung” was the only one to devote the entire Feuilleton of a single edition – eight pages – to this novel. The publisher’s claim was that this work presented “a thrilling book about a disconcertingly near future; a thriller to make us think in an entirely new way about the meaning of the private sphere, democracy and public life”. It’s true that Eggers presents no shortage of prognoses about our gloomy (Internet) future. Admittedly, however, as a novel “The Circle” is a bitter disappointment.
Michel Houellebecq’s novel “Soumission” has more to offer in literary terms – it was pure chance that its publication coincided in early January 2015 with the dates of the Paris attacks on the “Charlie Hebdo” editorial office and a Jewish supermarket. Houellebecq’s excellent novel with some satirical qualities, in which a Muslim governs a near-future France, was frequently interpreted in France and Germany only for its alleged anti-Islamic stance and its connection with the January attacks. Scarcely anyone was interested in whether “Soumission” was a novel capable of offering satisfaction in aesthetic terms.
The situation was not much different for Ian McEwan’s “The Children’s Act” that is undoubtedly among the English writer’s weaker books. Yet why did this novel still attract such sympathetic reviews? Because its main subject – whether the members of a religious community were allowed to refuse life-saving medical treatment because of their religious beliefs – wonderfully fits in with a discussion field that reflects on the role of religion in secularized societies. That “The Children’s Act” is only based on this motif and otherwise hardly presents more than outrageous links in the plot was rarely discussed by those who would be responsible for that: namely, the literary critics.
A final example: Gila Lustiger, who was born in 1963 in Frankfurt am Main, has lived in France since 1987. When this writer – who is keen to debate and excellent in discussion forums – publishes a novel “Die Schuld der anderen” (“The Others’ Guilt”) that focuses on the “French conditions” of the past thirty years, we can be certain that the writer will not lack any interview invitations and that the critics interacting with her will not take liberties with the novel’s quality. “Die Schuld der anderen” constructs with modest skill a criminal case where the investigator, the journalist, Marc, progressively reveals an ever-deeper abyss of the corrupt French political and economic system. Gila Lustiger knows a lot and has done extensive research. The book’s downfall is that she constantly integrates these banks of knowledge into the text so that it assumes treatise-like qualities. This is entirely dissatisfactory in narrative terms, as the text appears to operate as if the extensive analyses of society were following the thought patterns and dialogues of the characters.
Eggers, Houellebecq, McEwan, Lustiger – these are four examples of shortcomings within literary criticism. No visionary powers are called upon to predict that it won’t be long until a literary poor novel will soon be talked up again because of its “topicality” and hailed as a literary respectable novel.
Translated by Suzanne Kirkbright
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In der Literatur werden – um es auf eine einfache Formel zu bringen – Dinge auf eine so spezielle Weise benannt, dass das nicht eins zu eins in unsere Alltagssprache rückübersetzt werden kann. Das unterscheidet die Literatur als Kunst von weltpolitischen Betrachtungen, wie sie in Leitartikeln oder Talkshows tagtäglich formuliert werden. Diese Abgrenzung von pragmatischen Texten macht das Einzigartige von Kunst aus. Die primäre Aufgabe von Literaturkritik müsste folglich darin bestehen, die sprachlichen und erzählerischen Mittel, mit denen Schriftsteller arbeiten, zu benennen und zu beurteilen. Leider tut sie das – so mein Eindruck – in letzter Zeit, zumindest im deutschsprachigen Raum, immer seltener. Stattdessen giert sie danach, Romane oder Erzählungen vor allem daraufhin zu befragen, ob sie „Zeitdiagnostisches“ oder „Relevantes“ zu bieten haben. Autoren, die in ihren Texten aktuelle gesellschaftspolitische Debatten aufgreifen, werden dann lautstark gepriesen und gerühmt, weil sie aktuelle gesellschaftspolitische Debatten aufgreifen – nicht weil sie herausragende ästhetische Texte vorlegen.
Zu tun hat das vielleicht mit dem starken Bedürfnis von Feuilletonredakteuren, die Nischen ihres Ressorts zu verlassen und die Debatten der Gegenwart nicht den Kollegen aus Politik und Wirtschaft zu überlassen. So gieren sie danach, Trends zu erhaschen, und fragen die belletristischen Neuerscheinungen danach ab, was sie – gern plakativ – zu Trends zu sagen haben. Das Ergebnis ist unbefriedigend, ja, alarmierend, denn wenn die Literaturkritik nichts mehr zu den Formen der Literatur zu sagen hat, braucht sie niemand mehr.
Einige konkrete Beispiele: Im vergangenen Herbst überbot sich das deutschsprachige Feuilleton darin, Dave Eggers’ Roman „Der Circle“ in einer Ausführlichkeit darzustellen, die suggerierte, man habe es mit einem Meilenstein der Weltliteratur zu tun. Allein die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ stellte das komplette Feuilleton einer Ausgabe, acht Seiten, diesem Roman zur Verfügung. Dieser habe, so die Verlagswerbung, ein „packendes Buch über eine bestürzend nahe Zukunft geschrieben, einen Thriller, der uns ganz neu über die Bedeutung von Privatsphäre, Demokratie und Öffentlichkeit nachdenken“ lasse, geschrieben. In der Tat, an Prognosen über unsere düstere (Internet-)Zukunft mangelt es bei Eggers nicht; als Roman ist „Der Circle“ freilich eine herbe Enttäuschung.
Literarisch mehr zu bieten hat Michel Houellebecqs Roman „Unterwerfung“, der zufälligerweise just zu dem Zeitpunkt, Anfang Januar 2015, erschien, als sich die Pariser Anschläge auf die „Charlie Hebdo“-Redaktion und auf einen jüdischen Supermarkt ereigneten. Houellebecqs mit einigen satirischen Qualitäten ausgezeichneter Roman über ein Frankreich, das von einem Muslim regiert wird, wurde in Frankreich und in Deutschland vielfach nur auf seine vermeintliche Islamfeindlichkeit und auf seinen Zusammenhang mit den Januar-Attentaten hin interpretiert. Ob „Unterwerfung“ ein ästhetisch satisfaktionsfähiger Roman ist, interessierte die wenigsten.
Nicht viel anders bei Ian McEwans „Kindeswohl“, das ohne Zweifel zu den schwächeren Büchern des englischen Autors zählt. Warum stieß dieser Roman dennoch auf so viele wohlwollende Rezensionen? Weil sein Hauptthema – Dürfen die Angehörigen einer Religionsgemeinschaft aus Glaubensgründen lebenserhaltende medizinische Maßnahmen vereiteln? – so wunderbar in ein Diskussionsfeld passt, das über die Rolle der Religion in säkulariserten Gesellschaften nachsinnt. Dass „Kindeswohl“ lediglich auf diesem Motiv fußt und ansonsten kaum mehr als hanebüchene Handlungsverknüpfungen bietet, wurde selten von denjenigen angesprochen, die dafür zuständig wären: von den Literaturkritikern.
Ein letztes Beispiel: Die 1963 in Frankfurt am Main geborene Gila Lustiger lebt seit 1987 in Frankreich. Wenn diese – podiumsgeeignete und diskussionsfreudige – Autorin nun mit „Die Schuld der anderen“ einen Roman vorlegt, der sich die „französischen Verhältnisse“ der letzten dreißig Jahre vornimmt, darf man sicher sein, dass es der Autorin an Interviewanfragen nicht mangeln wird und dass es die sie befragenden Literaturkritiker mit der Qualität des Romans nicht so genau nehmen. „Die Schuld der anderen“ konstruiert mit einigem Geschick einen Kriminalfall, dessen Ermittler, der Journalist Marc, Schritt für Schritt immer neue Abgründe des korrupten französischen Politik- und Wirtschaftssystems auftut. Gila Lustiger weiß viel, und sie hat viel recherchiert. Das Verhängnis ihres Buches ist, dass sie diese Wissensmengen unaufhörlich in den Text integriert und dieser so traktatartige Verhältnisse annimmt. Erzählerisch ist das durch und durch unbefriedigend, tut der Text doch so, als würden die ausgebreiteten Gesellschaftsanalysen den Gedankenströmen und Dialogen der Figuren folgen.
Eggers, Houellebecq, McEwan, Lustiger – vier Beispiele für literaturkritische Versäumnisse, und es bedarf keiner seherischen Kraft, um zu ahnen, dass bald aufs Neue ein literarisch dürftiger Roman wegen seiner „Zeitaktualität“ zu einem literarisch respektablen Roman hochgeschrieben werden wird.