Europäische Literaturtage 2018 | Tag 4

Über den Mut, etwas Neues erfahren zu wollen

Begleitet von wunderbarer Musik des Trios „Contraston“, einem kammermusikalischen Ensemble aus Budapest, das in seinem Schaffen sowohl auf Barock als auch auf Jazz zurückgreift, neigen sich die Europäischen Literaturtage 2018 ihrem Ende zu. Auf Schloß zu Spitz finden sich wieder viele BesucherInnen des Festivals ein, sowie Literatur- und Filmschaffende, um heute der Verleihung des „Ehrenpreises des österreichischen Buchhandels für Toleranz in Denken und Handeln“ beizuwohnen.

Der Preis geht dieses Jahr an den Schriftsteller Ilija Trojanow. Schon in den Reden, die der Verleihung vorausgehen, wird deutlich: Ilija Trojanow ist einer, der sich Zeit seines Lebens mit der Erkundung des Anderen, auch des anders Denkenden, vor allem aber mit fremden Ländern und Kulturen befasst hat. Er hat sich aber nicht nur damit befasst, sondern auch ganz genau hingesehen, wenn er Neuland betreten hat, sich für Neuartiges und Fremdes interessiert hat. Darauf greift er selbst im Interviewgespräch, das auf dem Podium stattfindet, nachdem er den Preis entgegengenommen hat, zurück: oft werde Schriftstellern vorgeworfen, sie versuchten „so klug die Welt zu erklären, für Utopien und Ideale einzutreten“, aber warum genau wüssten sie eigentlich alles besser? Trojanow sagt, sie wüssten nicht alles besser, aber viele SchriftstellerInnen seien allein durch ihren Beruf in der ungewöhnlichen und auch privilegierten Situation, sich die Zeit nehmen zu können für das Wahrnehmen und Beobachten der Welt. Die Zeit sei ein so wesentlicher Faktor. Wie viele Menschen könnten es sich leisten, wie er es gemacht habe, ein Jahr durch die ganze Welt zu reisen, um darüber zu schreiben? Der Schriftsteller hat Zeit, die Welt genau zu beobachten und sich dadurch ein, wenn auch nicht vollkommenes, doch sehr genaues Bild von ihr zu machen. Auf seinen Reisen sei er unter anderem durch Zentralasien gefahren, wo er auf viele, große Städte gestoßen sei, die keine einzige Buchhandlung hätten. Das habe ihn traurig gestimmt, denn kein Medium mache dem Menschen auf der Suche nach Wahrheit die Welt in so einer Klarheit aber auch Gesamtheit mit all ihren Widersprüchen zugänglich, wie ein geschriebenes Buch. Die Literatur vermöge es, Perspektiven einzunehmen und sie wieder zu brechen, tiefer zu graben für die Erkundung des menschlichen Seins. Dies sei eine große Voraussetzung für Demokratiefähigkeit von Gesellschaften. Das Internet bedeute zum Teil eine Ghettoisierung der eigenen bereits geschaffenen Interessen und begangenen Wege. Man trete insofern auf der Stelle, wenn man immer in den gleichen im Voraus bestätigten Kanälen seiner Existenz zirkuliere und wate, statt sich auf neue Pfade zu begeben. „In einer Buchhandlung entdeckt man das, was man nicht sucht“, erzählt Trojanow mit seiner tiefen, wohlklingenden Stimme und berichtet, nicht ohne zu schmunzeln davon, wie er sich letzten Sommer eine Nacht lang in der Innsbrucker Buchhandlung „Wagner’sche“ eingeschlossen habe, um unter anderem auf ihm noch völlig unbekannte erotische Literatur zu stoßen. 

Trojanow freut sich darüber, einen Preis für „Toleranz in Denken und Handeln“ zu erhalten, er betont aber auch, dass er ein intoleranter Mensch sei, wenn es darum gehe, Macht zu bekämpfen. Und in unserer Welt, wie sie im Moment beschaffen sei, gäbe es noch viel Handlungsbedarf gegen perfide und allumfassende, politische und ökonomische Machtstrukturen. Der Schriftsteller warnt vor den weiteren, unheimlichen und dystopischen Auswirkungen des vorherrschenden Turbo Kapitalismus. Auf die Frage hin, was ihm heilig erscheine, sagt er, heilig seien für ihn nur Gemeingüter und Rechte, die über allem anderen stehen. So zu Beispiel die Charta der Menschenrechte. Das Gegenteil also einer durch und durch ökonomisierten Weltordnung. Er erzählt von der brutalen Absurdität unserer Gegenwart, in der selbst Hilfsprojekte Rendite bringen müssen.

Ich habe noch kein Werk von Ilija Trojanow gelesen, nach diesen Gedanken, die ich hier nur in Teilen wiedergeben konnte, bin ich mehr als angeregt, dieses Versäumnis ganz bald nachzuholen. Ich ziehe meinen Koffer durch den Teppich aus Kieselsteinen, der sich zwischen den Burgmauern auf Schloß zu Spitz erstreckt, esse eine letzte leckere Grießnockerlsuppe und verabschiede mich von vielen neuen Bekanntschaften, die ich auf diesem Festival kennenlernen durfte. Der Shuttlebus fährt Richtung Flughafen Wien, rechts von sich die schöne, trübe Donau, die er schließlich hinter sich lässt. Der Nebel der letzten Tage hängt noch immer über der Wachau, aber mein Geist fühlt sich nach diesen Tagen doch ein wenig erhellt durch den Austausch mit meinen KollegInnen, das Schreiben und ja, vielleicht auch ein wenig durch den guten Grünen Veltliner aus Spitz. 

llinca Florian

Ilinca Florian, geb. 1983 in Bukarest, lebt heute in Berlin, ist eine deutschsprachige Schriftstellerin. Sie arbeitete für das Berliner Grips-Theater und ist Regisseurin von Kurz- und Dokumentarfilmen. Im Frühjahr 2018 erschien ihr erster Roman Als wir das Lügen lernten.

»Wer Ilinca Florian liest, weiß: gegen Familie hilft nur Prosa, und gegen den Aberwitz der Zeitgeschichte helfen starke, leise Bilder.«
DANA GRIGORCEA
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