Literatur in der Smartphone-Menschheit

Unter den europäischen und amerikanischen Verlagsmanagern und Medienagenten des Publisher’s Forum Berlin 2016 teilt Bodour al Qasimi ihre Leidenschaft für die Literatur und ihren erklärten Respekt vor Autoren vielleicht am ehesten mit der Berliner Verlegerin Nikola Richter. Dabei könnten beide nicht unter verschiedeneren Bedingungen arbeiten – die eine mit den Möglichkeiten einer Herrscherfamilie aus den Vereinigten Emiraten, die andere mit dem wirtschaftlich persönlichen Risiko eines Einfrau-Kleinstunternehmens. Beiden gemeinsam ist das Experimentieren: Bodour al Qasimi verlegt in ihrem Kalimat Verlag Bücher für Kinder auf Arabisch und Englisch, die es so noch gab in der arabischen Welt, Nikola Richter mit mikrotext. short digital reading Texte für das Smartphone auf Deutsch und Englisch, die eine neue Idee des Buches verkörpern.

Bodour al Qasimi wollte Verlegerin werden, um durch Aufklärung zu einer freieren und besseren Welt und zum Verständnis zwischen den Kulturen beizutragen, um Freundschaften schließen und um Autoren auf ihrem Weg in die Öffentlichkeit begleiten zu können. Nicola Richter spricht über neue Texte, Autoren, Gemeinschaft und Austausch, für die sie das Risiko auf sich nimmt, mit neuen Ideen einen Verlag aufzubauen.

Wie anders dagegen Anki Ahrnell, Managerin im Bonnier-Medienkonzern, klingt. Gewandt bringt sie auf den Punkt, was die internationalen Marktführer im Verlagswesen bewegt: die Digitalisierung durchdringe längst weltweit alle Lebenswelten, daher müsse man neue Dienstleistungen hervorbringen, die das globale Volk der Smartphone-Benutzer glücklicher und die Konzerne reicher machen.

Schriftsteller oder Medienproduzenten, Verleger oder Content-Provider, kapitalistisches Denken oder Sorge um das kulturelle Gedächtnis und die literarische Qualität. Allen gemeinsam ist als Brennpunkt der Pioniergeist, der im gegenwärtigen Verlagswesen neu herausgefordert ist. Und um eben jenen Pioniergeist in der Welt desn Buches ging es vom 28. bis 29. April 2016 beim Publishers‘ Forum Berlin. Das von Rüdiger Wischenbart geleitete Forum fragte, wie sich das Geschäft mit Büchern gegenwärtig erweitert, verändert und fragmentiert. Und stellte dafür ein hervorragendes Podium für die Diskussion um den Umbruch in der Medien-, Bildungs- und Verlagswelt zur Verfügung.

Jener Umbruch steht erst am Beginn, wie Douglas Mc Cabe aus London, Experte für die Analyse des Verlagswesens, ausführte. In Mc Cabes Szenario wird das Smartphone zum alles beherrschenden Instrument, das auch Bücherinhalte miteinschließt (Tablets und E-Reader sind dabei nur „Übergangsmedien“); wird Google von der Such- zur Lernmaschine, die auf Grund der User-Daten voraussagt, was ihr Nutzer tun soll; beginnen Selfpublisher via Amazon den Markt zu beherrschen: verändern sich damit die Karrieren von Schriftstellern; bleiben physische Bücher und physische Buchhandlungen zwar wichtig für die Sichtbarkeit der Medienprodukte, wandert aber deren Verkauf ins Internet. Wächst insgesamt der Buchmarkt in Ländern wie China und fällt in Europa und in den USA. Douglas Mc Cabes Botschaft: „Bücher unterscheiden sich nicht von anderen Medienprodukten“ und zugleich „sind Bücher anders“. Das Smartphone wird alles vereinnahmen, vor allem die News- und Reisedienste, Filme und Spiele. Zugleich wird das Buch als schönes und opulentes Objekt weiterbestehen. Das ist seine Prognose für den mächtigen Buchmarkt, der weltweit dreimal so groß ist wie die Musikbranche.

Einigkeit herrschte unter den Teilnehmern des Publishers‘ Forum Berlin über die Tendenz zur konsumentenbestimmten Kultur. Der Markt wird sich demnach hauptsächlich um Dienstleistungen drehen, die den Bedürfnissen von allzeit und überall vernetzten Nutzern entsprechen. Diese bringen nur kurze Aufmerksamkeit für einen Inhalt auf, wollen diesen multimedial aufgelockert präsentiert bekommen und Inhalte seriell konsumieren.

Um diese Zielgruppe der Millenials, der heute 20 bis 35 jährigen Medienkonsumenten, zu erreichen, gibt es offensiv betriebene Wachstumsstrategien wie beispielsweise von Cengage Learning im Lernmittelbereich oder von Bastei Lübbe im Literaturbereich.

Cengage Learning verbreitet, wie dessen CEO Michael E. Hansen ausführte, auf Basis ständiger Befragungen von Studenten genau, was jene wollen: Time Management Tools (Lernmittel, die sie etwa während der 15 Minuten im öffentlichen Bus nutzen können) und Notizen bzw. Mitschriften der Vorträge und Seminare von anderen Studenten. So lernen die Studenten im Centage Learning Universum hauptsächlich voneinander, und brauchen den Experten/ Lehrenden als ihr Gegenüber, das korrigiert.

Auf der Suche nach dem neuen Leser setzt Klaus Kluge von Bastei Lübbe auf das Streaming von Literatur.  Er scheut vor der Frage nicht zurück, ob es nicht eine neue Form von Autoren brauche, die für das Smartphone Inhalte bereit stellen. Gelesen werde hautsächlich im öffentlichen Verkehrsmittel auf dem Weg zu Arbeit. Bastei Lübbe arbeitet an einem Modell des Literatur-Streamings: die Kernzielgruppe der Millenials wolle kurze Inhalte, visuell aufbereitet, seriell bereit gestellt, in Social Reading Gruppen besprochen, per Newsfeed interessant gehalten, und nicht mehr in Seiten, sondern in Zeiteinheiten gedacht. Am Besten im Abo erhältlich. Dafür bräuchte es Autoren, die Inhalte digitalisiert, internationalisiert und visuell aufbereitet denken können.

Der Leser bestimmt, was gut ist. Amüsant bis beängstigend Kluges Botschaft an Ken Follet, seinem erfolgreichsten Verlagsautoren: „Ken, du bist jung!“ Das im Herbst bei Lübbe erscheinende Buch des 62-Jährigen erscheint nämlich zeitgleich als Computerspiel.

Es ließe sich endlos über die Versuche von Verlagen weiter erzählen, sich den Leser der Gegenwart und der Zukunft auszudenken und für ihn das richtige Angebot bereit zu stellen. Etwa war es spannend, Nikola Richter (mikrotext) und Beate Kuckertz (dotbooks) zuzuhören, die über ihre neu entstandenen E-Book Verlage erzählten. Von neuen Handelswegen für Bücher, die sie über die Google Stichwort-Logik, verschiedene Internet-Händlerplattformen und die eigene Website verkaufen; von ihren Autoren, die offensiv als Kommunikatoren ihrer Bücher auftreten; von E-Books, die sie durch Schnäppchenangebote immer wieder neu zu positionieren versuchen.

Auf den Hinweis Richters, ihre gesampelten mikrotext Bücher entstünden nicht unähnlich den Romanen von Charles Dickens, der sie einst kapitelweise und die Reaktionen der Tageszeitungsleser berücksichtigend schrieb, gab Rüdiger Wischenbart etwas Heilvolles zu bedenken. Die Buchwelt versammelt seit Gutenbergs Erfindung eine Anzahl von Erfahrungen des Schreibens und Veröffentlichens, die viel größer und reicher ist als die Modelle des Buchmarktes in den letzten dreißig oder fünfzig Jahren. Andrew Franklin von Profile Books London sagte es trotziger: Das Mikro-Makro-Content-Providing wäre wohl etwas für den Bildungsbereich, aber nichts für Bücher: da beginne eben der Spaß ab fünf Stunden Lesen. Der anfangs zitierte Douglas Mc Cabe formulierte es solomonischer: Es ist alles in Umwälzung, und doch werde das Buch– ein Stück Andersheit bleiben, ein Synonym für philosophische Langsamkeit in einer rasenden Welt.

 

Walter Grond

Veröffentlicht von Walter Grond

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